Warum Kooperation mit der Zuckerfabrik aus sozialwissenschaftlicher Sicht?

Zunächst ist ein ganz praktischer und für unsere Schule sehr günstiger Umstand zu nennen, die fast unmittelbare räumliche Nähe der Zuckerfabrik zur Schule – ein Fußweg von max. ¼ Stunde, sodass man ohne großen Zeitverlust und Fahraufwand den Unterrichtsort in die Zuckerfabrik verlegen kann.

Zum zweiten bestanden schon Kontakte mit der Zuckerfabrik über den Chemieunterricht. Schließlich hat die Zuckerproduktion in Euskirchen Tradition; und es ist ein wirtschaftlicher Bereich, der den Schülerinnen und Schülern – z.T. auch durch elterliche landwirtschaftliche Betriebe – und durch den Chemieunterricht bereits vertraut ist.

Wie ist die Kooperation nun aus sozialwissenschaftlicher Sicht zu begründen?

Für die Sozialwissenschaft ist letztlich jedes Unternehmen in seiner unternehmerischen und seiner Produktionsstruktur interessant, sofern es sich den unterrichtlichen Belangen öffnet und entsprechende Kooperationsbereitschaft zeigt, wie sie bei Pfeifer & Langen in einem hohen Maße gegeben ist.

Dazu ein kurzes Zitat aus den neuen Richtlinien für das Fach Sozialwissenschaften in der Oberstufe:

„Zur Berufsfindung trägt das Fach bei, indem es Kenntnisse über fundamentale gesellschaftswissenschaftliche Bereiche vermittelt. Besonders in den Inhaltsfeldern, die sich mit Grundzügen der Marktwirtschaft und der Wirtschaftspolitik, und in denen, die sich mit Gruppen und Organisationsstrukturen befassen, wird Orientierungswissen über den Arbeitsmarkt und Industrie- und Dienstleistungsbetriebe, über Berufsfelder und Qualifikationsanforderungen erworben.“

D.h. z.B., dass die Schülerinnen und Schüler durch die Kooperation aus primärer Quelle erfahren, wie ein Unternehmen strukturiert ist, wie die Arbeitsmarktlage sich hier gestaltet, welche besonderen Produktionsbedingungen gegeben sind, welche Absatzmärkte bestehen, wie die Distribution gestaltet wird etc. Das heißt, auch all das, was z.B. den Begriff „Marketing“ ausmacht. Sie können zumindest in Ausschnitten Berufsrealität erfahren, und es wird ihnen ein Einblick gegeben, welche Qualifikationen heute im Vordergrund stehen, z.B. Fremdsprachenerwerb, ständige Bereitschaft zur Fort- und Weiterbildung etc.

Nun knüpft daran natürlich die Frage an, was eine solche Kooperation von einer Betriebserkundung oder von einem Betriebspraktikum unterscheidet.

Das Fach Sozialwissenschaften wird als Integrationsfach verstanden mit u.a. folgender Zielsetzung: Erfassung gesellschaftlicher Realität in ihrer Komplexität – verantwortliche Urteils- und Handlungskompetenz, und zwar sozial, politisch und wirtschaftlich.

Dies bedeutet für die Kooperation: den Schülerinnen und Schülern ist ein reales Unternehmen in seiner komplexen Struktur vorgegeben. Diese Komplexität gilt es jetzt aufzugliedern in verschiedene Teilstrukturen, die je nach Vorgehensweise im Unterricht theoretisch – in der Begrifflichkeit, in dem notwendigen analytischen Instrumentarium – vorbereitet werden.

Diese Strukturen sind nun an der Realität zu überprüfen – bspw. Unternehmensformen: Die Schülerinnen und Schüler konnten z.B. an den Unternehmensformen der Zuckerfabrik (jetzt Kommanditgesellschaft, auch einmal AG), die sich im Laufe von etwas mehr als 100 Jahren also mehrfach änderten, nachvollziehen, dass solche Unternehmensformen einem sich ändernden ökonomisch- sozialen Wandlungsprozess unterliegen und keineswegs statisch festgeschrieben sind. Daraus ergibt sich also für die Schülerinnen und Schüler ein eigener Erkenntnisgewinn: auch Unternehmensformen und –strukturen unterliegen dynamischen, dem sozialen Wandel entsprechenden Prozessen. Man kann – anderes Beispiel – ein Unternehmensorganigramm analysieren im Hinblick auf die Entscheidungsstrukturen und dies dann an einer fiktiven Neu- oder Erweiterungsinvestition durchspielen (ggfs. Einsatz von Rollenspiel etc.)

Entspricht der erstgenannte Ansatzpunkt eher noch einem hermeneutischen Verfahren, so gibt es, wie der zweite Ansatzpunkt zeigt, natürlich vielfältige Möglichkeiten, empirische Methoden der Sozialwissenschaften einzuüben, sei es z.B. die Beobachtung, die Befragung, die Erstellung und Auswertung von Statistiken. Gerade in dem Bereich ließe sich auch eine Zusammenarbeit mit dem Fach Mathematik ermöglichen.

Im Folgenden nun einige konkrete inhaltliche Ansatzpunkte:

Inhaltsfeld I:

Marktwirtschaft: Produktion, Konsum und Verteilung.

„Ziel ist es, die Marktwirtschaft als menschliches Produkt zu begreifen, die ihr zugrundeliegenden Interessen, Normen und Wertvorstellungen sowie ihre Wandelbarkeit und Gestaltbarkeit aufzuzeigen.“

–      Erarbeitung und Analyse auf der Makro- und der Mikroebene,

–      mit ökonomischen, aber auch soziologischen und politikwissenschaftlichen Erklärungsansätzen,

–      mit systemischer und theoriegeleiteter Betrachtungsweise.

Lernziel: die vermittelten Kenntnisse, Einsichten und Methoden stellen ein Fundament für Orientierung und kompetentes Handeln der Jugendlichen in ihren gegenwärtigen und zukünftigen Rollen in gegebenen und sich wandelnden wirtschaftlichen Strukturen dar.

Mögliche Erschließung: Wie unternehmerisch sind die Unternehmer?

Die Funktionen des Unternehmers in der Marktwirtschaft; Unternehmen zwischen Leistungswettbewerb und Marktmacht

Inhaltsfeld II:

Individuum, Gruppen und Institutionen: Rollenhandeln des Individuums in sozialen Gruppen und Institutionen – Strukturen und Prozesse in sozialen Gruppen – Methoden: Beobachtung, Interview, Gruppengespräche zur Auswertung

Inhaltsfeld IV:

Wirtschaftspolitik – z.B. Herausforderungen an den Wirtschaftsstandort Deutschland

Inhaltsfeld V:

Gesellschaftsstrukturen und sozialer Wandel – beschleunigter sozialer Wandel komplexer Gesellschaften in wichtigen Bereichen: Produktionspotentiale und Technologien, Organisationstrukturen …

Inhaltsfeld VI:

Globale politische Strukturen und Prozesse – hier v.a. Rolle der europäischen Integration, aber auch Globalisierung der Märkte

Solche Projekte ermöglichen es, den Lernraum zeitweise aus der Schule verlagern zu können; die Schülerinnen und Schüler können theoretische Modelle in die Praxis umgesetzt sehen oder von der Praxis abweichend erfahren, auch aus „kompetentem Munde“ erfahren, was berufliche Qualifikation heute heißt, was z.B. an Fremdsprachenbeherrschung erwartet wird, wie man den für sie noch abstrakten Begriff „Flexibilität“ im Beruf mit Inhalt füllt, was z.B. heute Weiterbildung bedeutet – weshalb es also wesentlich ist, Lernen zu lernen. Mit anderen Worten: es handelt sich um Berufswelterfahrung aus erster Hand.

Praxisnähe der Gymnasien

Die Schule muss in der heutigen hochtechnisierten und auf Informationsgesellschaft aufbauenden komplexen Berufswelt die Schülerinnen und Schüler anders vorbereiten bzw. motivieren, von dieser Welt mehr Vorstellung zu erhalten und sich mit ihr auseinander zu setzen. Auch im Elternhaus kann dies u.a. durch die heute normale Trennung von Arbeitsplatz und Wohnen (mittlerweile oft durch beträchtliche Entfernungen voneinander getrennt) nur bedingt erfolgen, also müssen im Bereich der Schule neue Wege beschritten werden, um den Schülerinnen und Schülern sowohl bzgl. der Qualifikationsanforderungen als auch der Einschätzung der Berufswelt und ihrer eigenen Rolle darin ein der Realität angemesseneres Bild zu vermitteln.

Ein wichtiger Schritt dazu stellt u.E. die Öffnung auch der Gymnasien für einen größeren Praxisbezug dar; eine Kooperation mit einem Partnerschaftsunternehmen kann hierfür nicht nur im Sozialwissenschaftsunterricht einen wichtigen Beitrag leisten.

Kooperation im Deutschunterricht

In einer Fortschreibung des Kooperationsvertrages im Juni 2000 wurde dann auch der Deutschunterricht als ein weiterer Fachbereich in die Kooperationsvorhaben integriert. Dies ließ sich zum Beispiel an dem Projekt „Industriereportagen“ verwirklichen.

Einbindung des Projektes in die Richtlinien „Deutsch“

Es heißt in den seit zwei Jahren für die Sekundarstufe II der Gymnasien gültigen Richtlinien: „Projekte stellen eine wichtige Ergänzung und Korrektur des Fachunterrichts dar. … Zur Förderung von Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit ist auch der Fachunterricht auf Handlungs- und Produktionsorientierung ausgerichtet, d.h. auf die eigenständige Erarbeitung von Produkten, …“

Damit werden Lehr- und Lernformen gefordert, „die nicht nur auf kurzfristige Lernergebnisse zielen, sondern die dauerhafte Lernkompetenzen aufbauen“. Dementsprechend wird in den Richtlinien der Projektunterricht auch als eine „Ergänzung des Fachunterrichtes“ vertreten. Solche selbstständig und in einem kreativen Prozess entwickelten Projekte stellen ohne Zweifel die „Industriereportagen“ dar.

Für den Erarbeitungsprozess gelten die ebenfalls in den Richtlinien formulierten Hinweise, die Strukturierung betreffend. So lassen sich in der gesamten Lerngruppe Zeitplan, Arbeitsprozess, Zielsetzung etc. gemeinsam skizzieren, bevor die einzelnen Arbeitsgruppen in das jeweilige Produktionsvorhaben einsteigen.

Den Lehrkräften kommt vor allem in der Phase der Gruppenarbeit eine besondere Rolle als Beratende zu, die das übliche Lehrer-Schüler-Verhältnis insofern ermöglicht zu durchbrechen, als der Lehrer mehr die Position des „beratenden und diskutierenden Gesprächspartners“ einnehmen kann. Je nach Situation der Lerngruppe ergibt sich hierbei die Möglichkeit, die Kommunikations- und Interaktionsstruktur zu verändern und für den weiteren Unterricht nutzbar zu machen.

Ein besonderes Augenmerk gilt bei solch einem Projekt auch der Präsentation der Ergebnisse; so lassen sich Filmaufnahmen, Kollagen etc. ohne weiteres auch einer größeren Öffentlichkeit vorstellen, sei es im Rahmen eines „Tages der offenen Tür“, einer „öffentlichen“ Übergabe der Arbeitsergebnisse an das Partnernunternehmen etc.

Damit bietet das Projekt eine sinnvolle Realisierung einer Zielsetzung handlungsorientierten Deutschunterrichtes: „Handlungsorientierter Deutschunterricht kann auf diesem Wege dazu beitragen, dass Schulkultur entsteht und dass sprachliche, literarische und andere künstlerische Produktionen der Schülerinnen und Schüler zum Erscheinungsbild einer Schule in der Öffentlichkeit gehören“. (Richtlinien S. 48)

Der unterrichtliche Gegenstand „Industriereportage“ lässt sich ebenfalls über das Curriculum Deutsch legitimieren. So wird die Gattung „Reportage“ explizit in den Richtlinien als „relevanter Sachtext“ (S. 19) angesprochen. Außerdem ist die „Industriereportage“ in ein größeres Unterrichtsvorhaben einzubetten, das sich mit Dokumentarliteratur beschäftigt: Beispiel des Erlebens und der Mitverantwortung des Einzelnen in der wissenschaftlich-technischen Lebenswelt von heute.

Die Schülerinnen und Schüler haben hierbei die Möglichkeit, vor Ort technisch-industrieller Lebenswelt zu begegnen, sich mit dieser in vielerlei Hinsicht auseinander zu setzen und ihre authentische Erkenntnis steht dabei an vorderer Stelle, nämlich die Subjektivität von Sinneseindrücken bzw. eigener Wahrnehmung, eine Erfahrung, die die vermeintliche Objektivität von Dokumentation eindrucksvoll in Frage stellt und damit einen Beitrag zu medialer Erziehung bzw. Medienkompetenz leisten kann. Zumal oft genug im Fernsehen heute mit Begriffen wie „Doku-Soap“ etc. operiert und damit dem Betrachter gerne Pseudoobjektivität suggeriert wird.

Ein ausführlicher Bericht über die Industriereportagen: Konzeption der Unterrichtsreihe, Durchführung und Ergebnisse finden sich in Anlage 4.5-Industriereportage.

Kooperation im Unterricht Chemie und Biologie

Chemie 7. Klasse:              Thema Zuckergewinnung

Erarbeitung der Stoffgemische und ihrer Trennungsverfahren am Beispiel der Zuckergewinnung: Die Schülerinnen und Schüler beginnen die Versuche im Unterricht. Sie lernen anhand der von uns ausgearbeiteten Versuche in der Zuckerfabrik die weitere Durchführung der Trennungsverfahren kennen. Die Mitarbeiter der Fabrik erklären ihnen diese Verfahren, zeigen und erklären ihnen die Anwendung in der Fabrik. Im Unterricht können die Schülerinnen und Schüler diese gelernten Verfahren auf ihre Versuche im Unterricht anwenden, d.h. sie planen ihre Versuche selbst danach. Auch die Erklärungen können sie z.T. selbst liefern. In der Zuckerfabrik ausgefüllte Arbeitsblätter unterstützen dies.

Chemie 9. Klasse:              Thema Kalk

Die Schülerinnen und Schüler beginnen im Unterricht mit Versuchen, um den Stoff Kalk genauer kennen zu lernen. In der Zuckerfabrik erfahren sie z.B. mit Hilfe von Versuchen, wozu man z.B. Kalk verwenden kann. Außerdem erfahren sie in Zusammenhang mit dem Kalkofen sehr viel über den Stoff Kalk. Dieses Wissen können sie zur Erklärung ihrer Versuche oder auch zur weiteren Durchführung verwenden.

Chemie/Bio Diff 8/9:           Kläranlagen ( Dieses Jahr neue Versuche in der Zuckerfabrik) Luftverschmutzung

Biologie Q1                         Ökologie (u.a. Anbau der Zuckerrüben, die Pflanzenwelt der Absetzteiche)

Einmal im Jahr wird das Projekt durchgeführt.